Trauerspiel von Friedrich Schiller

Regie Roland May 

Bühne Oliver Kostecka

Kostüme Luisa Lange

Dramaturgie Maxi Ratzkowski

 

Elisabeth Else Hennig

Maria Anja Schreiber

Robert Dudley Jens Hollwedel

Georg Talbot Dieter Maas

Wilhelm Cecil Gilbert Mieroph

Wilhelm Davison Timon Schleheck

Amias Paulet Benjamin Petschke

Mortimer Matthias Wagner

Graf Aubespine Daniel Koch

Hanna Kennedy Ute Menzel

Die Wucht aus dem Nachlass

von Tobias Prüwer

Plauen, 21. März 2015. Etwas muss dran sein an diesem Klassiker. Münchner Kammerspiele, Schauspiel Leipzig, Schauspiel Hannover; die Serie von "Maria Stuart"-Inszenierungen an deutschsprachigen Theatern allein in den letzten Wochen ist lang. Und nun Plauen. Hier macht mitRoland May der Intendant des Theaters Plauen-Zwickau selbst die Probe aufs Exempel, wie sich Schillers Werk im Spannungsfeld von Kanonanspruch für Schulklassen/Schillerfans und freimütigem Regiezugriff in die Gegenwart einfügen lässt.

Ränkespiele um den englischen Thron

Von Beginn an punktet der Abend von May mit zweierlei: mit starken Bilder und einer noch stärkeren Maria Stuart. Vor der Verdächtigung, ihren Mann ermordet zu haben, war die schottische Königin nach England geflohen, aber das Asyl entpuppte sich als Mausefalle. Throninhaberin Elisabeth setzte Maria fest; immerhin verfügt die Stuart auch über Ansprüche auf den englischen Herrscherstuhl. Jetzt sind die politischen Lager uneins, wie sie mit der inhaftierten potenziellen Potentatin verfahren sollen. Letzte Ränkespiele setzen ein. An ihrem Ende wird die Stuart hingerichtet – in Plauen bildlich behutsam symbolisiert von Marias eingetütetem Nachlass, den die Drehbühne vorbeifährt.

Maria Stuart3 560 Peter Awtukowitsch uUntergang in Schönheit und Schrecken: Anja Schreiber als Maria Stuart
© Peter Awtukowitsch

Marias Tod ist nicht nur in dramatischer Hinsicht der Höhepunkt. Wie sie da steht im weißen Büßergewand, das Ende vor Augen, ist ein ergreifend intimer Moment. Wenn Maria danach durch eine Klappe in der Bühne die Treppe zum Schafott hinuntersteigt, werden an ihr Angst und Stolz, Verletzlichkeit und Haltung zugleich sichtbar. Unpathetisch, in Schönheit und Schrecken lässt Anja Schreiber ihre Schottenkönigin untergehen. Im ersten Auftritt hatte sie sie noch als selbstbewussten Trotzkopf vorgeführt; die Verzweiflung wuchs mit der Zeit. Schreiber steigert den Ausdruck ihrer Figur im Verlauf des Spiels, das oft präzise bis in die Fingerbewegungen ist. Auch die heute eher gestelzt klingende Klassikersprache bekommt sie in den Griff.

"Engelland"!

Da sind nicht alle Ensemblemitglieder handwerklich so sicher, fallen manche Wortwechsel als Aufsagetheater aus. Ein landläufiges Zitat wird dann schon mal mit besonderer Sorgfalt betont, und immer wieder dieses "Engelland"! Dieter Maas als Graf von Shrewsbury und Gilbert Mieroph als Großschatzmeister gewinnen rhetorisch dem Text am meisten ab. Vielleicht liegt das daran, dass sie in weniger lächerlichen Kostümen stecken als die anderen. Angekitscht etwa tritt der Graf von Leicester mit weißer Schmalzlocke und Glitzerjeans auf, der französische Gesandte wurde in Blümchenleggins gesteckt – "Drama, Baby" schreit es optisch aus ihm heraus.

MariaStuart1 560 PeterAwtukowitsch uKupferroter Herrscherinnenkopf: Else Henning als Königin Elisabeth mit Hofstaat 
© Peter Awtukowitsch

Völlig zum comichaften Charakter ist die Elisabeth überzeichnet, nicht nur, wenn sie mit einem Reithosen-Reifrock-Hybrid ihren Jagdausflug bestreitet. Eingeengt im flammenden Rot zusammengesteckter Haare und gespensterhaft bleich geschminktem Gesicht mit rotem Mundkreis bleibt Else Henning nicht viel Raum für variierende Mimik. Leicht piepsend im Ton hat diese Machtpolitikerin Anstriche der naiv-geltungsbedürftigen Plaudertasche Yvonne aus derOlsenbande. Das ist irgendwie – wohl ungewollt – lustig, fällt aber aus dem Rahmen des sonst ernsten Agierens. Beim Showdown der beiden Königinnen wird sie von einer energetischen Maria darum auch an die Wand gespielt.

Klassiker ohne Botschaft

Man kann in der Grundintention, dem Text zu folgen, statt ihn mit bemühten Aktualisierungsversuchen zu spicken, eine gute Entscheidung sehen. Das macht das Geschehen aber auch oft distanziert, bis der nächste Maria-Auftritt wieder Unmittelbarkeit schafft. Im schnörkellos-schicken Bühnenbild, das sich zwischen kupfern getäfelten Herrschaftsräumen und schmutzig geweißelten Haftkellern verwandeln lässt, bleiben einige Szenen zu blass, um dem Text Leben zu verleihen.

Wenn die fortwährenden Machtspiele mittels Stühle-Rücken illustriert werden, ist das einleuchtend. Warum aber bricht der Regisseur damit irgendwann ab? Um den Abend mit Längen nicht noch mehr zu strecken? Museal wirkt er nicht, aber doch auch nicht frei genug im Zugriff. Zu oft zeugt er von der Hilflosigkeit, wie man heute mit dem traditionellen Literaturtheater umgehen soll. Für Schulklassenbesucher, für Schillferfans?

Nachtkritikerin Cornelia Fiedler hielt vor einigen Wochen für die Münchner Kammerspiel-Inszenierung von Andreas Kriegenburg fest: "Über dem gesamten Abend scheint der große Wunsch zu schweben, ein Humanismus-Klassiker wie 'Maria Stuart' müsse doch irgendwie für sich selbst sprechen, seine zeitlose Wucht beweisen. Nur wem?" Für Plauen gilt das Gleiche.

nachtkritik vom 22.3.2015

Freie Presse 23.3.2015

Maria Stuart verliert Krone und Kopf

Roland May hat Schillers Duell zweier Königinnen als Staatsdrama für das Theater Plauen-Zwickau auf die Bühne gebracht: Wo Furcht herrscht, regiert die Tyrannei.

Plauen. Ein Trauerspiel, nicht nur dem äußeren Anlass nach, sondern auch beim Blick auf die Haltbarkeit: Friedrich Schillers Drama "Maria Stuart" um den Tod der schottischen Königin, um das Morden von Staats wegen, machte bei der Premiere am Samstag im Vogtland-Theater Plauen betroffen, erwies sich als sehenswert und lehrreich. Schillers Obduktion des Staatswesens veraltete seit der Uraufführung vor 215 Jahren in Weimar kaum, das zeigte sich in Roland Mays streng anmutender, von tiefschwarzem Ernst durchzogener Inszenierung, die viel Beifall erhielt.

"Furcht, die schreckliche Begleitung der Tyrannei", ließ Schiller sagen, und das ist noch in der Welt wie die täglichen Nachrichten zeigen. Wer der Staatsräson im Wege steht wie Maria Stuart, der fällt. Die von Anja Schreiber mit Kraft und Leidenschaft beweglich, jung und blond vorgeführte Schottenkönigin wollte das nicht einsehen. Sie, ein auf Würde pochender Flüchtling, machte ihr Gefängnis zum Thronsaal. Sie stapelte Stühle zum Hochsitz und wollte herrschen, lebensfroh und leichtsinnig. Doch die Verhältnisse, die waren nicht so. Wutentbrannt schmiss sie die Stühle um. Die Krone war verspielt. Nun verlor sie noch den Kopf.

Im Duell der Herrscherinnen gab Else Hennig eine überaus schlecht gelaunte Elisabeth I., grau vor Ärger über lästige Störungen beim Regieren, zynisch und gnadenlos. Verblüffend vielsagend erschien ihre Mimik: Eine Wendung des Kopfes, ein Seitenblick, ein Zucken - das demaskierte Tiraden der Untergebenen als Liebedienerei. Auch das schälte May heraus: Richter und Helfer finden sich, gilt es, Querulanten, Konkurrenten, die Anderen zu beseitigen.

May machte das Personal erkennbar: Der Hardliner hatte als Burleigh, als Schatzmeister, den großen Auftritt, wuchtig dargestellt von Gilbert Mieroph. Der Opportunist lieferte ans Messer, wenn es der Karriere half, so zeigte es Jens Hollwedel als Leicester. Matthias Wagner führte den Fanatiker vor, der Leben wenig Wert beimisst. Mit dem Staatssekretär Davison, gespielt von Timon Schleheck, war auch der Sündenbock anwesend. Talbot als Verkörperung der Mäßigung, vorgeführt von Dieter Maas, wurde überhört. Doch da war auch Hoffnung: "Man kann den Menschen nicht verwehren, zu denken, was sie wollen", sagte Ritter Paulet, gegeben von Benjamin Petschke

Oliver Kostecka hatte das passende Bühnenbild entwickelt: Ein diagonal orientierter Kasten, lichtgrau, wandelbar und effektvoll ausgeleuchtet, stellte den Kerker wie auch die Herrschaftsarchitektur vor. Die Kostüme von Luisa Lange erschienen als Klasse für sich: Fantasievoll kleidete sie die Figuren dem Charakter gemäß ein, mixte Stile und Formen von einst und heute. Das gab Raum für heiteres Assoziieren - waren das der Bart von Salvador Dalí, das der Zopf von Karl Lagerfeld, das die Frisur von Andy Warhol?